Bali ist für viele eines dieser exotischen Badeurlaubsländer. Doch es gibt Ausnahmen. Raymond und Thea Ami zum Beispiel. Nach der Pensionierung in der Schweiz brachen sie 2006 nach Bali auf. Sie hatten nicht nur Sonnenschutz und Badesachen dabei, sondern einen ganzen Hausstand.
Welche Gefühle und Gedanken löste bei dir die Frühpensionierung aus?
Ich durchlief verschiedene Phasen: Entsetzen, Aktivismus, Besinnung, Neuausrichtung. Das Ganze dauerte so etwa 1 bis 2 Jahre.
Nach deiner Pensionierung seid ihr nach Bali ausgewandert. Irgend etwas muss euch fasziniert haben, um das Land als neue Heimat ins Auge zu fassen.
Nichts wirklich Entscheidendes, für mich wenigstens. Auf unserer Evaluationsliste stuften wir die Risiken von Bali als überblickbar und moderat ein, die Kaufkraft als relativ hoch und den Entwicklungsstand als gut genug.
Entscheidend war der Umstand, dass wir mit meiner Schwägerin insbesondere in der Startphase eine Vertrauensperson mit profunden Bali-Kenntnissen an der Hand hatten. Aber alle Entscheide, wenn auch mit Rücksprache mit meiner Schwägerin, mussten wir (logischerweise) selbst treffen und verantworten.
Für Deutsche ist die Schweiz das Auswanderungsland Nr.1. Und du als Schweizer hast diesem Land den Rücken gekehrt. Was wolltest du hinter dir lassen?
Als Arbeits-Land bietet die Schweiz auch für mich eine sehr hohe Lebensqualität. Etwas problematischer wird es (aus meiner Sicht) im Rentenalter und ganz sicher später in einem Altersheim. Letztlich erwarte ich von meiner neuen Wahlheimat Bali alles in allem eine bessere Lebensqualität als in der Schweiz. Bis jetzt ist die Rechnung aufgegangen. Zur Lebensqualität zähle ich auch, neue Erfahrungen machen zu können.
Hast du mit dem Umzug etwas aufgeben müssen, das du heute vermisst?
Natürlich. Die kurzfristig möglichen Kontakte zu den Kindern, den Verwandten, den Freunden. Die Sprache, die Kinos, Theater, Konzerte und die Cabaret-Bühnen, die Gaststätten und die Einkaufsmöglichkeiten.
Erinnerst du dich noch an den ersten Aufenthalt in Bali? War es „Liebe auf den ersten Blick“?
Es war heiß und schwül. Exotisch, unverständlich und verwirrend. Es fühlte sich aber auch spannend an.
Liebe zu einem Land habe ich noch nie empfunden. Das ist für mich entweder zu national oder zu schwärmerisch.
Auf deiner Homepage gibst du Tipps zum Hausbau – aus denen spricht ein viel geprüfter, um nicht zu sagen geplagter Bauherr. Was hältst du für die wichtigsten Eigenschaften, wenn jemand im Ausland ein Eigenheim bauen will?
Die Lust und Freude Widerstände, soweit sinnvoll, zu überwinden. Die Fähigkeit fremde Kulturen so zu akzeptieren wie sie sind, ohne damit zu hadern. Sich zu informieren und mitdenken. Das Verhindern von Fehlern, bevor sie gemacht sind, als kreative, interessante Tätigkeit zu empfinden.
Bauarbeiterinnen beim Hausbau [1]
Das mit Schilf gedeckte Wohnhaus, vom Garten aus gesehen [2]
Links hinter dem Teich: die Werkstatt [3]
Hand aufs Herz: hättest du auch gebaut, wenn du keine Ahnung vom Fach gehabt hättest?
Ich hatte und habe keine Ahnung vom Fach. Ich war Informatiker. Eine gewisse Erfahrung erlangte ich in den drei Einfamilienhäusern, die wir im Laufe der Zeit bewohnten. Aber das fehlende Fachwissen ist gar nicht so exklusiv, denn ich bin in der Schweiz noch keinem Architekten begegnet, der wirklich und wahrhaftig mehr als eine Ahnung vom Fach gehabt hätte.
Meine „Erfahrung“ beruht auf Recherchen im Internet, Gesprächen mit den ausführenden Bauleuten, Gesprächen mit anderen Villenbesitzern, Kreativität und rationalen Überlegungen.
Ich vermute, der Bau in Bali war um einiges billiger als eine vergleichbare Villa in der Schweiz. Kannst du die Größenordnung der Kostenersparnis überschlagen?
In der Schweiz gibt es Jahreszeiten mit Temeperaturunterschieden von 50°C, mit Trockenperioden, Stürmen, tagelangen Niederschlägen. In der Schweiz gibt es Bau- und Sicherheitsvorschriften, Normen, Gesetze und Einspracherechte. Es gibt Statiker, Sanitär- und Elektroplaner, Innenarchitekten, Spezialisten für jede einzelne Komponente eines Hauses, hervorragende Materialien, Beschläge und Verbindungstechnik. Eine vollständige Erschließung mit Wasser, Gas, Elektrizität, Strassen, Kommunikation und öffentlichem Verkehr sowie eine vorbildliche Abwasser- und Müll-Entsorgung. Entsprechend aufwändiger und auch um Klassen besser und teurer sind diese Häuser. Ein Preisvergleich ist eigentlich unmöglich.
Wenn man damit leben kann, dass das Haus anstelle von 100 Jahren nur eine Lebensdauer von vielleicht 20 bis 40 Jahren hat und der Qualitätsstandard tiefer liegt, so kann man mit vielleicht mit 1/5 bis 1/4 der Bau-Kosten (ohne Landanteil) auskommen. Nicht verzichten muss man auf Bodenbeläge, Armaturen und Geräte auf europäischen Niveau. Deren Preise sind aber nur geringfügig tiefer als in Europa.
Die Bodenpreise sind stark unterschiedlich. In touristischen Gegenden wird das
Niveau von europäischen Großstädten erreicht (einige 100 Euro/ Quadratmeter). Die tiefsten Bodenpreise in „unentdeckten“ oder schlecht erschließbaren Gebieten liegen momentan bei ca. 10 Euro/m2. Baumaterialien und Landpreise haben eine stark steigende Preistendenz.
Wie nahmen eure Familien und Freunde die Umzugspläne auf?
Mit gemischten Gefühlen, aber letzlich zustimmend, unterstützend.
Sprichst du Indonesisch?
Ich bin froh, dass ich einigermassen Deutsch beherrsche. Sprachen sind eine meiner vielen Schwächen. Aber nächstes Jahr vielleicht bestimmt.
Hingegen spricht meine Frau mittlerweile schon recht gut Bahasa-Indonesia. Einige Schweizer haben sich zu einer Sprachgruppe zusammengefunden. Sie treffen sich wöchentlich und geben sich selbst die Aufgaben und Lösungen. Vor allem trainieren sie in Gesprächen den Grundwortschatz. Anfänglich wurden sie von einem Lehrer unterstützt, der nun aber nur noch sporadisch beigezogen wird.
Welchen Stellenwert haben Computer und Internet in deinem Leben?
Das Internet benötigen wir zwingend, um informiert zu sein sowie um den Kontakt mit Freunden und Verwandten beizubehalten. Den Computer benötigen wir primär, um ins Internet zu gelangen.
Außerdem wird der Computer eingesetzt für: e-Banking, Reiseplanung, Buchhaltung, Memos, Pläne, Checklisten, e-Bücher, Unterhalt meiner Webseite, Photo und Musikverwaltung, Video-Schnitt. Sehr gut geeignet ist der Computer auch für Geometrie, Mathematik, Physik, Musik-Komposition sowie Bildbearbeitung und noch einige Anwendungen mehr, die ich aber nicht nutze.
Und außerdem macht es Spaß, die Kiste trotz allen Widrigkeiten immer wieder am Laufen zu erhalten.
Bali ist 3mal dichter besiedelt als die Schweiz. Wie macht sich das im Alltag bemerkbar?
Komischerweise gar nicht. Man hat den Eindruck, dass das Land viel weniger besiedelt sei als die Schweiz. Aber erstens leben die Balinesen auf etwa 10 mal weniger Wohnfläche und zweitens sind (im Gegensatz zur Schweiz mit ihren Bergregionen) praktisch alle Gebiete genutzt und auch besiedelt. Zusätzlich verschwinden die Siedlungen in der tropischen Flora.
Kann das balinesische Gesundheitswesen mit westeuropäischen Standards mithalten?
Bei entsprechender Versicherung ist die Grundversorgung auf europäischem Niveau gewährleistet. Etwas anspruchsvollere Fälle würde ich in Singapur oder der Schweiz behandeln lassen (inklusive Zahnarzt).
Die Balinesen können sich die medizinische Grundversorgung aus finanziellen Gründen kaum leisten.
Kannst du Bali jemandem empfehlen, der dort seinen Lebensunterhalt bestreiten muss?
Auf keinen Fall !!
Was würdest du anders machen wenn du erst heute aber mit den inzwischen gewonnenen Erfahrungen auswandern würdest.
Für ca. 2 Jahre eine Liegenschaft mieten. Die Umgebung (Infrastruktur, Ausländeranteil) besser evaluieren. Nicht am Meer sondern am Fusse der Berge bauen. Das Ganze etwas gemächlicher angehen.
Deine Prognose für die Schweiz in 5 bis 10 Jahren?
- Stagnation und Rückschritt wird schleichend systemimmanent, die Mittelschicht schrumpft weiter.
- Die drohende Pleite der Sozialwerke rückt in das Bewusstsein der Bevölkerung.
- Die politische Willensbildung wird immer stärker durch den Beamtenaparat, internationale Verträge und Globalisierung sowie durch juristische Argumente ausgehebelt.
- Konservative Wertvorstellungen jeglicher Couleur gewinnen an Einfluss.
Deine Prognose für Bali in 5 bis 10 Jahren?
Das kann ich nicht prognostizieren. Indonesien und erst recht Bali ist stark dem Spiel von äußeren Kräften (Natur, Terror, (globalisierte) Wirtschaft, Politik und Korruption) ausgesetzt. Der Wille, auf diese Kräfte Einfluss zu nehmen, ist sehr schwach ausgeprägt.
Was war bisher eure größte Herausforderung?
Die neue Umgebung verändert bis zu einem gewissen Grad auch die Persönlichkeit. Das gilt für beide Ehepartner. Die gegenseitige Vertrautheit und das Zusammen- spiel muss neu gefunden werden. Die Wertmaßstäbe gegenüber der neuen Umgebung müssen reflektiert und gegenseitig abgestimmt werden.
Raymond, danke für das Gespräch!
Homepage von Raymond Ami: Auswandern nach Bali
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Copyright der Bilder 1-3: Raymond Ami