Manfred Betzwieser ist Jahrgang 1953. Vor 25 Jahren wanderte er nach La Palma aus, wo er mit seiner Familie lebt. Seine Erfahrungen mit Land und Leuten vermittelt er als Reiseleiter und Buchautor. Anlässlich seines neuen Buches sprachen wir über Lebensperspektiven in Deutschland und im „Süden“.
Sie leben seit 25 Jahren auf La Palma. Was hat Sie damals bewogen auszuwandern?
25 Jahre die schnell vergangen sind, aber doch eine halbe Ewigkeit heute für mich darstellen. Es war für mich der schematische, oft kalte Umgang der Menschen in Deutschland, die egoistische Grundeinstellung und die politische Ausrichtung und die nicht eingehaltenen Versprechungen der Regierung. Nur Geld und Erfolg zählt und der Einzelne bleibt auf der Strecke. Dort wollte ich mein weiteres Leben nicht mehr verbringen und anders gestalten. Es gibt schließlich Alternativen und ich habe nur ein Leben.
Warum sind Sie ausgewandert, wer/was gab den Ausschlag?
Die Grundidee später, vielleicht im Rentenalter, in ein südliches Land auszuwandern steckt schon seit der Jugend in mir. Viele Reisen nach Amerika, Australien oder eine Sahara Durchquerung zeigten mir sehr früh, dass es schöne Gegenden, mit netten Menschen und anderen Lebensformen gibt, die meinen Idealen vom Leben näher kamen, als mein bisheriges Leben in Deutschland.
Einen besondere Beziehung hatte ich immer schon zu Spanien und seinen Inseln. Mir gefiel die Lebensart, der Umgang der Menschen untereinander, das spanische Klima – einfach die Lebensqualität. Meine Trauminsel war Formentera, südlich von Ibiza auf den Balearen. Solange zumindest, bis ich nach vielen Aufenthalten einen eiskalten Januarurlaub dort erleben musste. Damit war Formentera für mich gestorben und ich suchte weiter südlich auf den Kanaren eine wärmere Insel. Durch Zufall kam ich 1988 das erste Mal auf die Insel La Palma. Es war nicht Liebe auf den ersten, aber auf den zweiten Blick. Hier fand ich meine Trauminsel. Alles passte – viel Natur, die Menschen, kaum Touristen und ein angenehmes Klima.
Warum eigentlich abwarten, bis ich alt und vielleicht krank bin und dann nicht mehr auswandern kann?, das waren nun meine Überlegungen. Was versäume ich eigentlich in Deutschland – was hält mich hier noch? Nach reiflicher Überlegung und einem Jahr Vorbereitungszeit wurden schließlich die Koffer gepackt und samt Container und Kater „Poldi“ der Umzug nach La Palma gestartet.
Warum gerade La Palma?
La Palma war und ist heute noch für mich der ideale Lebensmittelpunkt. Ich liebe das Inselchen. Eine üppige Natur mit viel Grün, hohen Bergen – eine Mischung aus Alpen und Schwarzwald, das blaue Meer und frühlingshaften Temperaturen, bietet die Insel auf kleinstem Raum fast alles was mein Herz begehrt. Als leidenschaftlicher Naturfreak und Wanderer habe ich in der unberührten Insellandschaft alle Möglichkeiten. Besonders der ehrliche, offene Umgang und die warme Herzlichkeit der Palmeros haben es mir angetan. Es liegt natürlich an jedem selbst, wie er den Kontakt zu seinen Mitmenschen pflegt und wie weit er sich deren Lebensart zu eigen macht. Mir ist es gelungen und ich möchte es auch nicht mehr missen.
Wer begleitete Sie?
Mit meiner Partnerin habe ich alle Entscheidungen gemeinsam getroffen. Das zukünftige Domizil, das neue Zuhause ausgesucht, und das „Neue Leben“ auf La Palma gestartet. Gemeinsam geht vieles leichter und die „ersten Schritte“ lassen sich so auf mehrere Schultern verteilen. Gerade in der Eingewöhnungszeit gibt es kleine Hindernisse und Diskussionsbedarf, der besser mit einem vertrauten Partner zu bewerkstelligen ist.
Wissen Sie noch, wie hoch Ihr Startkapital war, als Sie auf die Kanaren zogen?
Unseren Hausrat und grundsätzlich notwendige Dinge haben wir per Container auf die Insel verschifft. Damit waren die lebensnotwendigen Dinge bereits vorhanden. Das Startkapital musste für die ersten 2-3 Jahre ausreichen, so die Planung. Es waren wohl um die 25 000.- DM damals, die wir an Barreserve zur Verfügung hatten. Fest stand auch, dass nach einer Orientierungsphase eine Einkommensquelle gefunden werden musste. Egal war zunächst, ob im abhängigen Beschäftigungsverhältnis oder als Selbstständiger.
Was hatten Sie beruflich vorher in Deutschland gemacht?
Als gelernter Kaufmann mit juristischer Ausbildung hatte ich die Zulassung als Rechtsbeistand. 20 Jahre lang hatte hatte ich ein erfolgreiches selbständiges Beratungsbüro. Als Selbstständiger hatte man es und hat man es wahrscheinlich auch heute noch, nicht gerade leicht mit Bürokratie, Statistiken und schadenfrohen Mitbewerbern.
Viel Verantwortung, Ärger und Stress ruinieren im laufe der Zeit die Gesundheit. Ziel meiner Umsiedlung war es auch, mich von dieser Belastung zu befreien und etwas völlig Anderes zu beginnen.
Eröffnete Ihr Beruf Ihnen besondere Chancen?
Nein! – Die Grundeinstellung und das notwendige Wissen eines Selbssttändigen waren und bleiben natürlich vorhanden. Auch in meiner jetzigen Tätigkeit als Reiseleiter und Autor helfen mir Verhandlungssicherheit, Gesprächsführung und treffendes Artikulieren weiter. Die berufsnotwendigen Sachkenntnisse habe ich mir als Autodidakt und guter Zuhörer erst hier angeeignet.
Nicht im Traume konnte ich mir früher vorstellen, im Tourismus beruflich tätig zu sein. Es war ein Bereich, mit dem ich mich nicht näher beschäftigen wollte. Heute weis ich jedoch, dass mir der Umgang mit ständig neuen wissbegierigen Gästen, meist von Kreuzfahrtschiffen, großen Spaß macht.
Oft wird die Frage gestellt, ob ich früher Lehrer oder Biologe war, da meine Erklärungen und Führungen anscheinend diesen Eindruck hinterlassen und Sachwissen vermitteln.
Auch als Autor kann ich auf meine eigenen Lebenserfahrungen zurückgreifen und dem Leser ein ehrliches Bild mit nützlichen Tipps und Ratschlägen vermitteln.
Auf Ihrer Website nennen Sie La Palma Ihre „Lieblingsinsel“. War sie das damals schon?
Es war die Liebe, die mich nach La Palma brachte. Nicht die Liebe zu einer Frau, die brachte ich mit, sondern die Liebe zur Insel – meiner Insel La Palma. So ist es bis heute geblieben. Auch ich entdecke heute noch fast täglich neue Dinge, oft Kleinigkeiten die, das Herz erfreuen. Ob es eine besondere Wettersituation mit rosa Himmel, eine klare Fernsicht zum Teide nach Teneriffa, ein betörender Duft oder ein mir bisher unbekanntes Blümchen am Wegesrand, ist.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit den kanarischen Behörden?
Behörden sind überall gleich. Es gibt hier keine großen Unterschiede zu Deutschland. Die Bürokratie mit ihren Beamten überspannt wie ein Spinnennetz auch das tägliche Leben auf den Kanaren. Gerade durch die Anpassung an EU-Normen hat in den letzten 10 Jahren, wohl mit Zeitverzug gegenüber dem EU Vorreiter Deutschland, dieses Unwesen teilweise groteske Züge angenommen.
Wer Geld aus Brüssel beziehen möchte, muss sich eben den vorgegebenen Normen und Gesetzen anpassen, sonst stoppt der Geldfluss. Beamte sind hier allerdings noch Menschen, die bis zum Finanzamt, noch sehr hilfsbereit sind und sich nicht nur als Verwalter und Verteidiger des Staates verstehen. Auch hier gilt die Prämisse: „Wie du in den Wald hinein rufst, so hallt es zurück“.
Ich habe manchmal den Eindruck, die Kanaren sind ein Mekka für deutsche Dauerurlauber und Menschen, die einen Zweitwohnsitz im Süden suchen. Ist die Zahl der Deutschen auf den Kanaren in den letzten 10 Jahren stark gestiegen?
Das ist richtig so. Viele Deutsche, vor allem Rentner und Pensionäre, unterhalten auf den Kanaren einen Zweitwohnsitz oder machen in den Wintermonaten hier Dauerurlaub. Die bevorzugten Monate sind von Oktober bis März, meist um dem nassen und kalten Klima in Deutschland zu entgehen.
Nach der soeben veröffentlichten neuesten Statistik vom Jahre 2010 ging allerdings der Ausländeranteil leicht um 0,3 % gegenüber 2009 zurück. In dieser Statistik sind allerdings nur die hier gemeldeten Residenten erfasst. Viele deutsche Überwinterer lassen sich nicht registrieren um den Krankenversicherungsschutz zu behalten und evt. Rentenkürzungen in Deutschland zu entgehen.
Wie stehen Sie heute zu Ihrer Auswanderung?
Das möchte ich mit einem Satz aus meinem neuen Buch „Soll ich Auswandern“ beantworten: „Ich habe alles richtig gemacht, niemals bereut und würde es heute genauso wieder machen“.
Gerade ist Ihr zweites Buch erschienen. „Soll ich Auswandern – Schnauze voll“. Was unterscheidet es von den vielen Auswanderer-Ratgebern?
Ich glaube, dass ich sehr viel Inhalt der heutigen Situation in Deutschland gewidmet habe. Gerade die Politik, die sich mehr den Zuwanderern aus dem Osten verpflichtet fühlt – als den alten Einwohnern, die Kälte und Gleichgültigkeit der Menschen, der Stress am Arbeitsplatz und die daraus resultierende Erkrankungen, die Abhängigkeit von Banken und Konzernen und die Folgen der Globalisierung für die Zukunft.
Was kann ich als einzelner Bürger dagegen unternehmen und wie könnte ich die Situation für mich erträglich machen. Muss ich es bis ans Lebensende ertragen oder gibt es Alternativen?
Ich habe im Buch „Soll ich Auswandern“ (ISBN: 978-3-8423-5136-3) die Möglichkeit des „Auswanderns“ ausführlich beleuchtet und Vergleiche des Alltages, der Arbeitsmarktsituation, der sozialen Absicherung bis hin zur Wohnungssituation gegenübergestellt. Was ist im Ausland besser oder schlechter als in Deutschland.
Auch viele eigene Erfahrungswerte und Dinge, die man besser nicht machen sollte, kommen zur Sprache.
Was ist mit Sprache und Verständigung, geht Auswandern mit Kindern? … oder wie funktioniert die tolle Möglichkeit des „Sabbatical“, dem Probeauswandern.
Ein Buch zum Nachdenken und Überdenken des eigenen Ist-Zustandes, mit Tipps und Ratschlägen für eine Zukunft vielleicht in einem anderen Land.
Alle Infos und auch das Inhaltsverzeichnis dazu findet sich auf meiner Homepage [Nachtrag, Anfang 2017: die Website von damals ist nicht mehr online].
Der Titel des Buches spricht sehr direkt ein mögliches Hauptmotiv fürs Auswandern an. Reicht es, die Schnauze voll zu haben, um auszuwandern?
„Schnauze voll“ oder „ich habe die Nase voll“, steht nur als ein kurzes Synonym für Ausweglosigkeit und selbst nichts ändern zu können. Es beschreibt die Hilflosigkeit, ein Aufschrei und die Machtlosigkeit des Einzelnen.
Eine erfolgreiche Auswanderung muss genau überlegt und geplant werden. Ad hoc Auswanderungen kennen viele aus den XXL Fernsehopern und sind meist vorweg schon zum Scheitern verurteilt. Wer in Deutschland keinen geordneten Alltag zustande gebracht hat, wird dies in einem fremden Land erst recht nicht schaffen. Auf diese Thematik bin ich übrigens im Buch ebenfalls mit Beispielen eingegangen. In einem fremden Land hängen die reifen Früchte noch ein Stückchen höher und müssen erst mühsam erreicht werden. Urlaub, Strand und Meer und der tatsächliche Alltag sind zwei völlig getrennt zu sehende Dinge.
Beides aber vernünftig vermischt, ergeben einen interessanten Mix und ein besseres Lebensgefühl. Lassen Sie sich daher nicht entmutigen und packen Sie die Sache an. Sie haben nur dieses Leben und jünger werden Sie auch nicht.
Herr Betzwieser, herzlichen Dank für das Gespräch, alles Gute für Sie und Ihre Familie und viel Erfolg mit Ihrem neuen Buch!
(12.4.2011, Fragen: Knut Gierdahl)