Margot Obrist ist nach Australien ausgewandert. Sie hilft als Einwanderungsberaterin Menschen, die in Australien Fuß fassen wollen.
Du selbst bist nach Australien ausgewandert. Was hat dich zu diesem Schritt bewogen, warum wolltest du weg aus Deutschland?
Ich hatte eigentlich keine Probleme in Deutschland. Ich hatte einen guten Job, eine nette Wohnung, Familie und Freunde. Aber mein Leben war auch sehr festgefahren und ich hatte das Gefühl, mit nur Anfang 30, alle wichtigen Entscheidungen in meinem Leben sind bereits gefallen. Ein langer Urlaub in Australien hat mir dann die Augen geöffnet, dass ich noch etwas ganz etwas anderes ausprobieren muss, bevor ich mich wirklich niederlassen kann. Mich hat die Leichtigkeit in Australien angezogen. Im Alltag verschwindet die natürlich zu einem bestimmten Grad, aber insgesamt finde ich das Leben schon ein wenig einfacher, wenn die Sonne scheint.
Was hast du vorher gelernt und als was hast du gearbeitet; inwiefern helfen dir die früheren Erfahrungen heute?
Ich bin ausgebildete Sozialpädagogin. Beim Visumsantrag hat mir das geholfen, weil mein Beruf damals noch sehr gefragt war und es daher für mich relativ (alles ist relativ…) einfach war, ein Visum für Australien zu erhalten. Ganz grundsätzlich habe ich in meiner Ausbildung gelernt, ‚das ganze Bild‘ zu sehen, nicht nur einen kleinen Teilaspekt einer Person. Das hilft mir in meinem jetzigen Beruf als Migration Agentin ungemein. Denn es gibt oft mehrere Wege nach Australien und manchmal ist es besser, einen Weg zu wählen, der vielleicht nicht auf den ersten Blick ins Auge springt.
Gut, dass du es ansprichst: Du bist seit über 10 Jahren Migration Agent in Australien. Beschreibe bitte einmal, was du da im Wesentlichen (für die Kunden) tust.
Australische Einwanderungsgesetzgebung ist nicht nur komplex, sondern ändert sich auch sehr häufig. Es gibt unbefristete Visa, befristete Visa, die nie zu einem unbefristeten Visum führen und auch befristete Visa, die einen späteren unbefristeten Aufenthalt ermöglichen und Regeln dazu, die sich ständig ändern. Sich in diesem Labyrinth zurechtzufinden, kann eine echte Herausforderung sein. Vor allem wenn man Familie hat, und daher auch noch Dinge wie einen etwaigen Zugang zur Krankenversicherung, Schulen, etc. beachten muss.
Meine Hauptaufgabe ist es wohl, Ordnung in das Chaos zu bringen, und meine Klienten über Änderungen im Verfahren auf dem Laufenden zu halten. Am Anfang steht eine ausführliche Beratung, in der ich die Situation analysiere und alle Möglichkeiten aufzeige. Viele meiner Kunden nehmen nur diese one-off Beratung in Anspruch, um eine Strategie zu entwickeln, welches Visum sie beantragen wollen. Andere heuern mich für die gesamten Antrag an, dann helfe ich auch dabei, alle Formulare richtig auszufüllen, die nötigen Unterlagen zusammenzustellen und ich kann mich auch darum kümmern, dass die richtigen Unterlagen übersetzt werden.
Wenn ein Antrag eingereicht ist, stehe ich als Ansprechpartner – sowohl für das Department of Immigration and Border Protection als auch für meine Klienten zur Verfügung, bis eine Entscheidung über den Antrag getroffen wird. Erst dann endet unser Vertrag, so haben meine Kunden während des ganzen Verfahrens immer einen Ansprechpartner für offene Fragen.
Wann warst du das erste mal in Australien? War es „Liebe auf den ersten Blick“ oder wuchs dir das Land erst mit der Zeit ans Herz?
Naja, vielleicht Liebe auf dem zweiten Blick. Ich war auf einem 6 Monate dauernden Trip in Australien unterwegs. Angekommen bin ich in Sydney und konnte mich auch nach ein paar Wochen nicht wirklich mit dieser Stadt anfreunden. Ich began schon zu denken, dass das ganze ein riesiger Fehler war – aber in Tasmanien sind mir dann die Augen aufgegangen und auf Kangaroo Island in South Australia war es dann endgültig um mich geschehen. Es hat dann aber trotzdem noch ein paar Monate gedauert bis, mir das erste mal eingefallen ist: „Moment mal! Warum eigentlich nicht??“ Das war in Cairns.
Ich bin mit einer neuen Backpackerfreundin im Hostel gesessen und wir haben uns gegenseitig die Highlights unseres Trips aufgezählt. Auf einmal war mir klar, dass ich nicht mehr zurück will … oder jedenfalls nicht für immer. Da es in Cairns sowieso in Strömen geregnet hat, konnte ich also viel Zeit in Internetcafès verbringen, um Visa- und Studienmöglichkeiten zu recherchieren. Als ich dann nach Ende meiner Reise im Flieger nach Hause saß, war eigentlich schon alles entschieden. Ich war nur noch kurz in Deutschland. Solange es eben dauerte, ein Studentenvisum zu beantragen, zu kündigen und meine Wohnung aufzulösen.
Australien gilt als Land, in das vor allem die High Potentials auswandern. Es ist kein Land, wo einwandernde Arbeitslose neu anfangen könnten. Auch Menschen mit geringer Berufserfahrung in Aushilfsjobs werden dort keine Aufnahme finden. Wie sind deine Erfahrungen dazu?
Das sehe ich ähnlich. Ohne abgeschlossene Ausbildung und ein Minimum an Berufserfahrung geht eigentlich in fast keinem Bereich etwas. Grundsätzlich gilt, dass handwerkliche Berufe hier sehr gefragt sind. Ingenieure und IT’ler waren immer sehr gefragt, aber das ändert sich aktuell gerade und für diese Berufsgruppen wird es nun schwieriger. Das gleiche gilt für Krankenschwestern, in diesem Bereich gab es zwar lange einen Mangel an Arbeitskräfte, aber das hat sich in den letzten Jahren geändert. Es gibt zwar noch immer Möglichkeiten, für diese Berufe ein Visum zu beantragen, aber es wird definitiv schwieriger und die Anforderungen bzgl. Berufserfahrung und Englischkenntnissen werden immer höher.
Interessenten, die keine Ausbildung vorweisen können, scheitern in vielen Fällen bereits an der Hürde, kein Visum zu bekommen. Aber selbst wenn es daran nicht scheitert (z.B. wenn es einen australischen Partner gibt), sind ungelernte Hilfkräfte hier – wie überall – am ehesten gefährdet, Jobs zu verlieren und sich mit Centrelink rumschlagen zu müssen. Ich glaube auch nicht, dass Centrelink mehr Freude macht als Hartz IV … eher im Gegenteil. Und Wohnungsnot, bzw. Obdachlosigkeit und hohe Lebenshaltungskosten sind auch hier ein großes Problem, ganz besonders unter jungen Menschen. Insgesamt ist die soziale, psychosoziale und gesundheitliche Absicherung in Deutschland vermutlich eher besser als hier.
Was hältst du für die wichtigste Voraussetzung, wenn jemand aus Deutschland nach Australien auswandern will?
Flexibilität. Und ein guter Sinn für Humor hilft auch unwahrscheinlich. Englisch ist auch wichtig – aber das lässt sich lernen 🙂
Die Frage kommt immer wieder: „Wie gut muss mein Englisch in Australien sein?“ (Der Hintergedanke mag sein: Wenn sich dort auch Work & Traveller durchschlagen, werden die Australier mit Geduld bei lückenhaftem Englisch aushelfen …) Was rätst du, wenn jemand dir diese Frage stellt?
Ich bin da etwas zwigespalten. Auf der einen Seite ist gutes Englisch eine der Grundvoraussetzung für die meisten Visakategorien. D.h., die meisten Kandidaten brauchen gutes Englisch, weil sie sonst gar kein Visum bekommen – von daher muss ich darauf achten, dass meine Klienten gut Englisch können.
Aber für Antragsteller, die durch Familienzusammenführung nach Australien kommen (Eltern, Partner, etc.) gibt es solche Zugangzvoraussetzungen nicht. Obwohl ich schon denke, dass Englisch wichtig ist, um sich hier zurechtzufinden, sehe ich aber auch oft, dass das bei den meisten ganz schnell geht, wenn man erstmal hier lebt und sich jeden Tag auf Englisch verständigen muss. Ich würde das nicht überbewerten. Ich selbst gehöre auch nicht zu den Menschen, die sich mit Sprachen besonders leichttun und habe auch erst dann richtig Englisch gelernt, als ich ich England gelebt und gearbeitet habe und jeden Tag Englisch reden MUSSTE. Dann ging es recht schnell.
Was müsste passieren, damit du in ein paar Jahren nach Deutschland zurückkehrst?
Ich glaube eigentlich schon, dass ich irgenwann wieder nach Deutschland zurückgehen werde. Wie und wann, weiss ich noch nicht. Es ist nicht in absehbarer Zeit geplant. Aber das schöne an doppelter Staatsbürgerschaft ist ja, dass ich jetzt wirklich vor – und zurückkann, wie ich will. Wenn meine Eltern zu alt werden, um zu reisen und mehr Unterstützung brauchen, gehe ich sicher wieder zurück – zumindest für eine Zeitlang. Ich hatte wie geagt, keine Probleme mit Deutschland an sich. Ich mag München und würde auch gerne noch ein bisschen Biergartenluft tanken, bevor ich an den Strand zurückkehre.
Wie umfangreich war eigentlich dein Umzug?
Sehr überschaubar: 1 Koffer, 1 Rucksack und ein bisschen Kleinkram. Einen gesamten Haushalt aufzulösen, war eine sehr befreiende Erfahrung. Ich dachte, es würde schwierig werden, Dinge wie Bücher zu verkaufen oder andere liebgewonnene Gegenstände. Aber das war nicht der Fall und gar kein Problem.
Wie haben Familie und Freunde in Deutschland reagiert, als sie erfuhren, dass du nach Australien auswanderst? Und wie eng ist heute dein Kontakt nach Deutschland?
Meine Eltern sind selbst von Italien nach Deutschland gegangen. Daher wussten sie, dass dagegen argumentieren sowieso nichts bringt. Die Reaktion meiner Mutter auf meine Pläne war also die beste, die man sich wünschen kann: „Australien? Sehr gut, da wollte ich schon immer mal hin“.
Der Rest meiner Familie hat zum Glück ähnlich verständnisvoll reagiert und die meisten haben mich auch schon besucht. Ich versuche, mindestens alle 2 Jahre nach Deutschland zurückzufliegen, denn meine Eltern können nicht mehr soviel reisen wie früher. Das klappt auch meist ganz gut und dank Email, Whatsapp und Skype ist es ja heutzutage auch sehr einfach, in Kontakt zu bleiben.
Du lebst in Adelaide. Seit wann und wieso hast du diese Stadt gewählt?
Adelaide war für uns am einfachsten, denn mein Partner arbeitet in der Weinindustrie. Für uns war daher immer klar, dass es eine der Weingegenden Australiens sein muss. Südaustralien hat mehrere große Weinanbaugebiete und bot sich an. Wir haben dann lange in den wunderschönen Adelaide Hills gewohnt, sind aber vor kurzem nach Victoria umgesiedelt. Jetzt leben wir sehr rural ca. 150 km nördlich von Melbourne in den Strathbogie Ranges.
Würdest du heute wieder auswandern? Und wäre dein Ziel wieder Down Under?
Ja und Ja. Ich würde es auf jeden Fall immer wieder machen. Die Zeit hier und die Erfahrungen kann mir niemand nehmen. Ich habe viel über mich und die Welt gelernt, seit ich Deutschland verlassen habe. Heimweh zwickt zwar manchmal, aber Fernweh ist schlimmer. Mit der Zeit fängt man auch an, die alte Heimat mit anderen Augen zu sehen. Ich beginne nun Dinge zu schätzen, die ich in Deutschland immer als selbstverständlich angesehen habe. Aber irgendwann hört man auch auf zu vergleichen und sieht, dass einfach manche Dinge hier besser sind, und andere dort.
Wie erlebst du das Verhältnis zwischen Deutschen und Australiern?
Ich finde das alles recht entpannt und ich mag auch den pragmatischen Zugang von Australiern. Ich kenne es von Deutschland, dass Mitbürger mit Akzent oft wie Deppen behandelt werden. Da wird dann extra laut gesprochen, als ob derjenige ein Gehörproblem hat. Sowas passiert hier zwar auch, ist aber die Ausnahme. Wahrscheinlich, weil fast alle irgendeinen Akzent haben. Und wenn nicht selbst, dann zumindest in der Familie.
Ich habe ja auch eine Zeitlang in England gelebt. Dort wurde mein Akzent behandelt wie eine peinliche Krankheit, die man besser nicht erwähnt. Die meisten Engländer konnten nicht wirklich einordnen, woher ich komme und haben daher automatisch angenommen, dass ich aus Polen sein muss (Akzent + weiße Hautfarbe = Polen). Das hat oft zu Missverständnissen geführt und war manchmal auch einfach lustig. Oder auch peinlich – je nachdem.
Australier haben dagegen überhaupt keine Probleme, die eigene Ignoranz zuzugeben und fragen einfach ganz direkt nach. Das ist sicher Ansichtsache, aber ich persönlich kann damit besser umgehen. Vor allem weil fast jeder Australier dann spontan irgendeinen entfernten Verwandten – oder zumindest einen Freund – aus dem Hut zaubert, der aus Frankfurt/Berlin/Heilbronn kommt und weil das Oktoberfest ja sowieso jeder kennt …
Ich über mich
Ein guter Arbeitstag beginnt mit einem sehr großen und sehr starkem Kaffee vor meinem Computer. Emails checken und nebenbei laufen die ABC News im live stream…
Meine Freizeit verbringe ich am liebsten mit meinen zwei Hunden auf Achse.
Die Zeit vergesse ich, wenn ich am Computer über einem komplizierten Problem festsitze. Normalerweise fängt das mit einem: ‚ich muss nur mal schnell was nachschlagen …“ an. Und Stunden später weckt mich dann ein großer, schwarzer Hund aus meiner Trance und erinnert mich mit vorwurfsvollen Blick, dass sein Spaziergang jetzt aber wirklich to-tal überfällig ist!
Es bringt mich auf die Palme, wenn … Ich möchte nie wieder einen Satz hören müssen, der mit: „Ich bin ja kein Rassist, aber …“ beginnt.
Im Rückblick würde ich nicht noch einmal Sozialpädagogik studieren. Ich würde was ‚richtiges‘ lernen: z.B. Klempner oder Elektriker. Die werden immer und überall gebraucht. Mit derart krisenfesten Berufen könnte man die Welt erkunden!
In 10 Jahren sehe ich mich wahrscheinlich in Kanada. Mein Mann ist Kanadier und wir haben beide abwechselnd Heimweh. Meines scheint mit dem Alter aber eher ab- als zuzunehmen, während es bei ihm genau andersrum ist. Wenn der Trend so bestehen bleibt, sehe ich uns in 10 Jahren daher eher in Kanada als in Deutschland.
Wer es in meinem Beruf zu etwas bringen will, muss gute Nerven haben und auch eine gewisse morbide Freude daran, verschachtelte Gesetze zu zerpflücken und analysieren.
Wer auch nach Australien auswandern will, dem rate ich, … erstmal zu Besuch zu kommen. Für junge Leute unter 30 ist das Working Holiday Visa eine super Gelegenheit, Land und Leute nicht nur aus der Urlaubsperspektive kennenzulernen.
Margot, vielen Dank für das Gespräch!
Wer Kontakt zu Margot sucht und mehr über Down Under erfahren will, besuche die Website: Migration Advice.com.
veröffentlicht: 15.01.2018. Die Fragen für wohin-auswandern.de stellte Knut Gierdahl.