Kanada ist längst nicht mehr das Einwanderungsland für Trucker und Holzfäller: Inga Bohnekamp ist Diplom-Psychologin, ihr Mann Informatiker. Seine neu gegründete IT Firma gab den Ausschlag: Auf nach Kanada!
Warum sind Sie ausgewandert, was gab den Ausschlag?
Mein Mann und ich sind beide eher abenteuerlustig und freigeistig und stets offen für neue Ideen und Inspirationen. Auch habe ich einen Teil meines Studiums an der Université de Montréal in Kanada verbracht.
Als sich dann durch ein Informatik-Projekt meines Mannes, das in eine Firmengründung mit kanadischen Investoren mündete, erneut die Verbindung nach Kanada ergab, haben wir dies einfach als tolle Möglichkeit angesehen – und nun wohnen wir in Ottawa/ Gatineau.
Warum gerade Kanada?
Es ergab sich diesmal aus dem Projekt meines Mannes, außerdem habe ich hier eben schon eine Weile verbracht. Kanada hat mir schon damals super gefallen und ich hatte auch noch Kontakt zu ein paar Freunden in Montreal. Kanada ist beeindruckend groß, weit und vielfältig. Die Natur ist wunderschön und lädt zu unzähligen Outdooraktivitäten ein.
Trotzdem gibt es einige große, lebhafte, inspirierende Metropolen, worauf ich als Berlinerin nicht verzichten mag. Kanada bedeutet für mich auch eine spannende Mischung von Menschen verschiedenster Herkunft – im Endeffekt haben ja fast alle einen Immigrationshintergrund, wenn auch natürlich nicht immer in 1. Generation. Weiterhin liebe ich die „Zweisprachigkeit“, besonders hier in der Gegend, wo wir nun wohnen.
Wer begleitete Sie?
Unsere kleine Familie, also mein Mann, unsere 3jährige Tochter und ich.
Wie war die Reaktion der Familie und der Freunde und Bekannten?
Ambivalent. Die meisten waren aufgeregt, haben sich mit uns gefreut und es als tolle Möglichkeit angesehen – auch waren sie es schon gewöhnt, dass zumindest ich gerne mal für eine Weile ins Ausland ziehe. Die Vorstellung, eine Anlaufstelle für einen spannenden Kanadaurlaub zu haben, hat ebenfalls vielen gefallen. Andererseits jedoch waren alle traurig, dass wir so weit wegziehen würden, besonders mit unserer kleinen Tochter „im Gepäck“. Außerdem haben viele die Befürchtung im Hinterkopf, wir könnten „für immer“ in Kanada bleiben – was wir momentan für uns noch völlig offen gelassen haben.
Eröffnete Ihr Beruf Ihnen besondere Chancen in Kanada?
Informatiker (mein Mann) werden gesucht, es gibt einen großen Markt. Als Psychologin habe ich es da etwas schwerer. Es wird zwar dringend nach skilled workers im Gesundheitssektor gesucht – vor allem Ärzten und Psychologen – allerdings ist es ein langer, teurer und nervenzehrender Weg, eine Anerkennung und Zulassung zu erhalten, wenn man außerhalb von Kanada seinen Abschluss gemacht hat, da diese Berufe streng reglementiert sind.
Auch von anderen Deutschen in Kanada und den USA, u.a. Ärzten, Juristen Lehrern, habe ich gehört, dass eine Anerkennung mancher (in diesen Fällen akademischer) Berufe schwierig ist und Jahre dauern kann. Viele geben sich hier einfach flexibel und arbeiten in einem anderen Bereich. Dies ist meines Erachtens in Nordamerika sowieso üblicher als wir es vielleicht aus Europa/ Deutschland kennen.
Ich glaube, es macht vieles einfacher, wenn man offen ist und sich nicht auf ein enges Tätigkeitsfeld fixiert – oder aber eben dafür kämpft und keine Kosten, Mühen, womöglich weitere Jahre an der Universität, Prüfungen etc. scheut.
Ich selbst arbeite, während ich im Hintergrund versuche, die Zulassung als Psychologin in die Wege zu leiten, an kreativen Projekten, die mir am Herzen liegen – wie einem Kinderbuch zum Thema Auswandern und dem Launch einer Internetseite im Blogstil, speziell für Familien mit Kindern, die ins Ausland ziehen möchten. Hier möchte ich Erfahrungen, Anekdoten, Tipps weitergeben, die hoffentlich hilfreich und inspirierend sein werden für Familien in einer ähnlichen Situation oder solche, die sich nicht so sicher sind, ob das Auswandern etwas für sie ist, und die „mal reinschnuppern“ wollen. Auch werde ich an dieser Stelle natürlich mein (Kinder-)psychologisches Wissen einfließen lassen.
Hatten Sie einen bestimmten Wohnort als Ziel?
Ottawa/ Gatineau war sozusagen durch den Arbeitsplatz meines Mannes gesetzt.
Wer half Ihnen bei den ersten Schritten? (Behörden, vorläufige Wohnung, Telefon, Auto,…)
Der Firmenpartner meines Mannes hat uns sehr unterstützt, auch sein Netzwerk aus Freunden und Familie hat geholfen. Meine Freundin aus Montreal, das ja nur 2 Stunden entfernt ist, hat ebenfalls Hilfe angeboten. Alles Weitere habe ich dann hier auf eigene Faust herausgefunden bzw. mir hier Leute gesucht, die ich fragen konnte.
Wie kamen Sie zu Ihrer Wohnung, bzw. wie verlief der Hauskauf?
Wir haben unsere Wohnung im Internet gesucht. Generell scheint es hier einfacher, etwas zum Kauf zu finden als zur Miete.
Welche Erfahrungen machten Sie mit kanadischen Behörden?
Der Verwaltungsaufwand ist ähnlich hoch wie in Deutschland, nur erscheint es einem als Ausländer noch undurchsichtiger, weil man nicht weiß, was man wen und wo fragen kann. Was erschwerend hinzukommt ist, dass die Staaten – zumindest Ontario und Quebec, an deren Grenze wir ja leben – jeweils ihre eigenen Regelungen haben und man z.B. nicht einfach in Ontario zum Arzt gehen kann, wenn man in Quebec wohnt, auch wenn es vielleicht sogar näher ist. Insgesamt ist das Ärztesystem im Vergleich mit Deutschland ziemlich katastrophal.
Was erlebten Sie mit dem Kitabesuch der Kinder?
Kitas sind hier, sofern man nicht in Quebec lebt und in das staatlich subventionierte Programm aufgenommen werden kann, sehr teuer. Man kann locker 1500-2000 Dollar pro Monat und Kind für einen Vollzeitplatz bezahlen. Ich habe den Eindruck, dass oft entweder ein Partner „zu Hause bleibt“ und die Kinder betreut oder beide Partner sehr viel arbeiten – schließlich muss ja auch eine Menge Geld aufgebracht werden, um die Kitaplätze zu bezahlen. Viele Familien haben eine Nanny oder ein Au Pair.
Manche Kinder besuchen vormittags eine Kita, nachmittags eine andere oder – ab 4 bzw. 5 Jahren – die preschool; diese Lösung ist mit viel Fahrt- und Organisationsaufwand verbunden. Es gibt auch Eltern, die ihre Kinder gar nicht in Kitas oder die Schule schicken – „homeschooling“ ist in Kanada erlaubt und nicht unüblich.
Was mir als Mutter und auch als (Kinder-)psychologin nicht gut gefällt ist, dass hier in vielen Einrichtungen offenbar wenig Wert auf eine kindgerechte, sanfte Eingewöhnung gelegt wird. Ich habe von vielen Eltern haarsträubende Geschichten gehört.
Unsere Familienlösung sieht momentan so aus, dass unsere Tochter vormittags in einen kleinen Kindergarten in Ottawa geht, der uns und ihr sehr gut gefällt.
Wie fandenSie Bekannte und Freunde?
Einige Freunde hatte ich wie gesagt bereits durch meinen Studienaufenthalt in Montreal. Auch der Firmenpartner meines Mannes ist ein Freund geworden und er hat uns widerum in seinen Freundeskreis und seine Großfamilie eingeführt, wo wir – vor allem an Feiertagen – zum Essen etc. eingeladen werden. Viele nette Eltern und Kinder habe ich über eine Spielgruppe der kleinen deutschen evangelischen Gemeinde in Ottawa kennengelernt.
Weiterhin habe ich über die Yoga-Community lockere Bekanntschaften geschlossen sowie mich auf dem Spielplatz mit einer israelischen Mutter angefreundet, die uns widerum zu einer wöchentlichen informellen „homeschooling playgroup“ mit vielen ihrer Freunde und Freundinnen und deren Kindern einlud.
Ich denke, richtige Freundschaften brauchen Zeit, um sich zu entwickeln und zu festigen, aber Bekanntschaften kann man gut schließen, wenn man sich offen, freundlich und zugewandt zeigt und sich nicht gleich entmutigen lässt – denn natürlich begegnen einem nicht ALLE Menschen freundlich und interessiert.
Welches waren die familiären Höhepunkte und/oder Probleme?
Es ist toll, zusammen etwas Neues, Spannendes zu erleben, neue Orte und Menschen kennenzulernen, neue Aktivitäten zu entdecken – das macht viel Spaß, eröffnet den Horizont und schweißt zusammen. Herausfordernd erleben wir manchmal das Leben ohne enges, familiäres Netzwerk in Wohnortnähe – in Berlin wohnten die Großeltern um die Ecke und in unserem damaligen Haus gab es eine sehr nette, freundschaftliche Hausgemeinschaft mit den anderen Mietern und Kindern. Auch vermissen wir manchmal unsere guten Freunde, von denen viele ebenfalls in Berlin wohnten, so dass wir sie regelmäßig und vor allem auch spontan sehen konnten. Neu war zudem besonders für mich die Situation, wieder „zu Hause“ zu sein und meinen Job in Deutschland aufzugeben – unsere Tochter hingegen war damit sehr zufrieden…
Ich denke, es ist in einer solchen Umbruchssituation, genau wie auch sonst so oft im Leben, einfach nötig, nach einem neuen Gleichgewicht als Familie zu suchen. Das ist nicht immer einfach, eröffnet aber auch viele neue Möglichkeiten. Für mich hat sich aus unserer Situation unter anderem die Idee ergeben, andere Familien in ähnlichen Situationen mit meinem Blog (s.o.) zu unterstützen.
Wie oft waren Besuche in der Heimat möglich?
Da wir erst seit knapp 3 Monaten hier sind, steht das noch aus, ist aber definitiv in Planung…
Inga, herzlichen Dank für das Gespräch!
veröffentlicht: 11/ 2011; Fragen für wohin-auswandern.de: Knut Gierdahl; zuletzt bearbeitet: 06.07.2021