Du bist 2015 (korrekt?) von Österreich nach Argentinien gegangen. Was hat dich zu diesem Schritt bewogen, warum wolltest du weg aus Europa?
Ja, das ist korrekt. Am 12. August 2015 kam ich nach 2-tägiger Reise und Umweg über Dubai in Argentinien an. Zum Glück gibt es in Dubai am Flughafen ein Spa, das 24h geöffnet ist. In diesem habe ich die Nacht verbracht. So war die Reise dann nicht ganz so langweilig.
Das Datum feiere ich seither übrigens jedes Jahr mit einem klassischen argentinischen Asado. Die bisherigen 3 Mal waren allesamt in verschiedenen Wohngemeinschaften und mit komplett verschiedenen Leuten. Mal schauen, wie es das vierte Mal wird. Ist ja schon bald wieder – in ziemlich genau 2 Monaten.
Foto: Mein erster Jahrestag im August 2016 in einer Wohngemeinschaft in La Boca, Buenos Aires. Vielen Dank an Blaskez Foto für die tolle Aufnahme.
Warum ich aus Europa und Österreich weg bin? Prinzipiell fühlte ich mich in Österreich nie wirklich wohl. Oder wie mein Vater es nach meiner Abreise einmal ausgedrückt hatte: „Das mit mir und Österreich hatte wohl nie so richtig funktioniert.“
Und wie bei einer Beziehung, die nicht so richtig läuft, war es wohl auch in dem Fall die beste Entscheidung, es irgendwann sein zu lassen. Lag vielleicht daran, dass die eine Familienhälfte schweizer und die andere jugoslawische Vorfahren hatte. Eine eventuell zu schizophrene Mischung. Hier bin ich damit nicht mehr als Durchschnitt.
Auf jeden Fall war ich in Österreich nie wirklich glücklich. Nicht mit mir, nicht mit meinem Leben, nicht mit den Umständen im Land und auch nicht mit denen im Kontinent bzw. der Union.
Ich hatte das z. B. immer kritisch gesehen, dass der hohe europäische Lebensstandard zu einem guten Teil auf der Ausbeutung der Restwelt basiert. Hatte mich bis zu einem gewissen Grad verantwortlich gefühlt oder schuldig. Schuldig sich dessen bewusst zu sein und trotzdem weiterhin davon zu profitieren.
Tja, und so war es irgendwann nicht mehr als eine logische Konsequen, aus meiner alten Heimat wegzugehen. Südamerika bzw. Argentinien wählte ich aus dem simplen Grund, weil das zu dem Zeitpunkt der einzige Kontinent war, den ich noch nie besucht gehabt hatte.
Außerdem hatte er mich schon immer interessiert bzw. fasziniert. Und so kam ich dann eben an besagtem 12. August ohne Rückflugticket und Spanischkenntnisse, aber dafür mit 100kg Gepäck am Flughafen Ezeiza in Buenos Aires an.
Du hast vorher in Österreich studiert. Inwiefern hilft dir das Studium heute?
Also natürlich hatte ich mir diese Gedanken im vornhinein öfters gemacht. Ob es denn wirklich die richtige Entscheidung ist, einfach alles liegen und stehen zu lassen, nachdem ich so viele Jahre studiert gehabt hatte. Und vor allem so viele Jahre sehr intensiv studiert, um schlussendlich in die Position zu kommen, in welcher ich gewesen war.
Heute denke ich, dass es auf jeden Fall die richtige Entscheidung war. Falls etwas nicht funktioniert, sich nicht richtig anfühlt und es einem nicht gut damit geht, dann kann die Schlussfolgerung nur eine grundlegende Veränderung der Situation sein.
Und natürlich waren all die Jahre an der Uni nicht umsonst. Im Gegenteil. Ich habe durch meine Zeit als Student, und danach in der Forschung, einiges gelernt. Habe Fähigkeiten erworben, die mir heute sehr nützlich sind.
Dabei war es glaube ich sehr wichtig, dass ich erstens an einer Universität und damit mit sehr viel Freiheit studierte. Und nicht in einem verschulten System einer Fachhochschule. Und ich zweitens nebenher immer arbeitete und meine ersten „unternehmerischen“ Erfahrungen machte.
Ich denke einmal nichts im Leben ist umsonst, solange man weiß, was man sich daraus mitnehmen kann und will.
Des Weiteren ist es natürlich nie schlecht, wenn ich mich bei Bewerbungsgesprächen, mit potentiellen Klienten für irgendwelche Dienstleistungen oder potentiellen Partnern für irgendein Geschäft hier in Argentinien als Doppelakademiker vorstellen kann.
Du arbeitest heute als SEO. Wie sieht ein typischer Tagesablauf bei dir aus?
Ich denke, den typischen Tagesablauf gibt es bei mir nicht. Wie und wo ich arbeite, hängt auch viel von meiner Laune, dem Wetter und der Frage ab, ob ich an dem Tag noch andere Dinge zu erledigen habe. Genauso wie manchmal, ob ich am Abend davor wieder einmal etwas länger unterwegs gewesen war.
Ich habe sowohl ein Büro im Haus, als auch einen Schreibtisch in einem Coworking-Space. Zweiteren vor allem deshalb, um nicht zum modernen Eremiten zu verkommen. Das war, als ich mit dieser Arbeit anfing, ein bisschen ein Problem. So komm ich hinaus, kann etwas plaudern und Kontakte knüpfen. Die soziale Komponente bei der Arbeit wird oftmals unterschätzt.
Genauso variiert es stark, wann ich den Arbeitstag beginne. Vormittags ist eher dann der Fall, wenn ich Skype-Termine mit Leuten in Europa habe. Ansonsten eher nach dem Mittagessen. Die Zeit davor nutze ich für Arbeiten im Haus, dem Versorgen der zwei Katzen, der Schildkröten und des Gartens. So kann ich in aller Ruhe meinen Kaffee trinken und langsam in den Tag starten, ohne das Gefühl zu bekommen, noch nichts getan zu haben.
Die Arbeit selbst ist sehr abwechslungsreich, sodass ich eigentlich nur selten mehrere Tage hintereinander dasselbe mache. Was ich aber immer mehr probiere, ist, die ersten Arbeitsstunden intensiv dafür zu nutzen, etwas zu schaffen. Sprich eine Arbeit – also einen Text, eine neue Seite, eine größere Recherche oder Projektplanung – fertig zu stellen, bevor ich meine Nachrichten wie E-Mails checke.
So stelle ich sicher, dass ich jeden Tag zumindest 1-2 größere Brocken von meiner To-Do-Liste streichen kann. Und mich nicht die ersten paar Stunden in einem Mail-Ping-Pong mit irgendjemand am anderen Ende der Welt verliere.
Natürlich arbeite ich dann in der Regel bis abends und manchmal bis spätnachts. Kommt aber einerseits meinem persönlichen Rhythmus eher entgegen. Und andererseits ist das hier kein Problem, da die nächtlichen Aktivitäten später anfangen. So isst zum Beispiel vor 22.00 so gut wie niemand zu Abend.
Wo(bei) hast du dir die Grundlagen dafür draufgeschafft/ gelernt?
Wie bereits erwähnt, bin ich ohne große Planung „ausgewandert“. Ich hatte also auch überhaupt keine Ahnung, wie die Situation auf dem Arbeitsmarkt hier so aussieht. Ob es zum Beispiel Bedarf für Naturwissenschaftler gibt und in welchen Bereichen.
Wie ich dann draufgekommen bin, gibt es hier als Forscher zwei Möglichkeiten: Universität oder multinationaler Konzern. Universität heißt sehr viel Arbeit für sehr wenig Geld. Konzern bedeutet, Gewissen über Bord schmeißen, wenn man sich anschaut, was zum Beispiel Monsanto in Argentinien so aufführt.
Mir hier vor Ort eine andere Arbeit zu suchen, hätte bedeutet, am Rande der Armut zu leben. Heute noch viel mehr als noch vor 2 Jahren. Also habe ich umgesattelt und angefangen, mir verschiedene Online-Tätigkeiten zu suchen.
Anfangs musste ich aufgrund fehlender Kenntnisse natürlich alles akzeptieren. So war mein erster Job ein Erotik-Chat, in welchem ich Frauen spielte. Richtig – da haben Männer in AUT, GER und CH Geld gezahlt, um sich mit einem bärtigen Typen in Argentinien auszutauschen. Tja.
Machte ich natürlich nicht lange, da es erstens nach kurzer Zeit ziemlich monoton und zweitens eine ordentliche Abzocke war. Außerdem fand ich mir nebenher schon genug andere Beschäftigungen.
Und mit viel Einsatz und vor allem Eigeninitiative eignete ich mir immer mehr und mehr Kenntnisse an, sodass ich Schritt für Schritt meine Positionen und Aufträge verbessern konnte.
Erinnerst du dich noch, was dich bewogen hat, nach Argentinien auszuwandern? Was war der Punkt, wo du gesagt hast, ‚das mach ich jetzt!‘?
Wie schon eingangs gesagt, ging es mir in Österreich nie wirklich gut. Und die letzten Jahre waren dann schon wirklich problematisch. Also zumindest privat.
Und irgendwann war ich dann an einem Punkt angelangt – vor allem psychisch und physisch – ab welchem es sowieso nicht mehr lange funktioniert hätte. Und anstatt auf den Komplettabsturz zu warten, zog ich dann selbst die Reißleine.
Sozusagen in letzter Sekunde mit dem Schleudersitz abgesprungen. Manchmal kommt es mir wirklich so vor. Ging dann ja auch sehr schnell. 2 Monate von der endgültigen Entscheidung bis zum Abflug. Da sind am Ende Möbelstücke auf der Straße stehen geblieben. Hoffentlich hatte zumindest jemand seine Freude daran.
Wem würdest du Argentinien als neue Heimat empfehlen und wem nicht?
Wer die Freiheit sucht und vor allem die Freiheit, sein eigenes Ding zu machen – sowohl beruflich als privat – der ist hier gut aufgehoben. Ich habe in meinem Leben schon einige Länder besucht und Argentinien gehört unter diesen sicherlich zu den freiesten.
Das bedeutet aber genauso sehr viel Eigeninitiave. Wenn man hier etwas möchte, dann muss man sich selbst darum kümmern. Auf jemand anderen, oder gar eine staatliche Organisation, zu warten, kostet nur Zeit und Nerven. Viel Sinn macht es nicht. Wer diese Grundeinstellung mitbringt, der kann hier sicherlich glücklich werden.
Wer allerdings darauf wartet, dass Dinge passieren. Wer an Regeln und deren Einhalten glaubt, wer Struktur, Ordnung und Sicherheit benötig -also so eine Person, die sucht sich besser einen anderen Lebensmittelpunkt.
Grundsätzlich muss man aber festhalten, dass dies auch davon abhängt, wo jemand in Argentinien leben will und in was er arbeiten möchte. Jemand, der für ein internationales Unternehmen (oder gar ein deutsches) im Stadtgebiet von Buenos Aires arbeitet, findet sicherlich andere Bedingungen vor. Genauso wie jemand, der als Guide in einem Touristengebiet oder -resort unterkommt.
Vom Gehalt her, muss man aber in beiden Fällen in der Regel Abstriche machen. Zumindest im Vergleich zu einem Verdienst in der DACH-Region.
Was hältst du für die wichtigste Voraussetzung, wenn jemand nach Argentinien auswandern will?
Anpassungsfähigkeit. Zusätzlich zu dem, was ich bereits als Antwort zur vorigen Frage aufgezählt habe.
Schildere bitte mal drei wesentliche Unterschiede zwischen dem Leben hier und in Österreich.
Der Staat: Der argentinische Staat ist ein Gespenst, dessen Existenz als Illusion aufrechterhalten wird, um in weiterer Folge nach außen hin ernst genommen zu werden. Die Anzahl von Formularen und Dokumenten, welche man hier ausfüllen muss, ist beeindruckend. Dass diese in weiterer Folge kein Schwein interessieren, ist umso beeindruckender.
Einmal schickte ich ein Päckchen nach Österreich. Normalerweise muss man da seinen Ausweis hergeben, damit die Daten aufgenommen werden. Hatte ich aber nicht dabei. Also meinte die Dame am Schalter, ich solle doch einfach irgendetwas hinschreiben, damit da was steht. Gesagt, getan – kam auch anstandslos an. Mit Dagobert Duck aus Entenhausen als Absender.
Der soziale Umgang: Der Argentinier an sich ist auf den ersten Blick äußerst freundlich, offen, herzlich – zusammenfassend also ein umgänglicher Typ. Allerdings muss man immer im Hinterkopf haben, dass vieles davon einfach nur oberflächliches Sozialverhalten ist.
In der argentinischen Gesellschaft ist es ausgesprochen wichtig, immer freundlich und gutgelaunt zu sein. Schlechte Laune oder auch nur Gleichgültigkeit, und vor allem offene Kritik, ist sehr, sehr ungern gesehen.
Dabei ist es wirklich egal, was das Gegenüber für einen Bock geschossen hat. Oder was wieder einmal schiefgelaufen ist. Das Wichtigste ist, die Fassung zu bewahren und einen höflichen Grundton.
In dem Moment, in dem man sich aufregt, hat man verloren. Dann schaltet der Andere auf „Schotten dicht“ und „Ende Gelände“. Ein Fehler, welchen viele Europäer (oder auch Nordamerikaner) machen und dann erst recht dumm dastehen.
Die Pünktlichkeit: War ich in Österreich mit meiner c.t-Einstellung als äußerst unpünktlich verschrien, bin ich hier in Argentinien superpünktlich. Oftmals zu pünktlich und muss warten.
Daran gewöhnt man sich allerdings und nutzt die Wartezeit für irgendetwas – und nicht damit, entnervt alle 3,5 Sekunden auf die Uhr zu schauen. Und sei es ein Plausch mit dem Kellner in dem Café, in welchem man sitzt und wartet. Man macht also wie so oft das Beste aus einer eigentlich unangenehmen Situation.
Welche 3 Tipps würdest du einem deutschen Muttersprachler geben, der darüber nachdenkt, nach Argentinien auszuwandern?
Spanisch lernen: Zumindest auf ein halbwegs passables Konversationsniveau. Mit anderen Sprachen wird es außerhalb des Mikrozentrums von Buenos Aires ansonsten schwer. Mit einer soliden Basis gelangt man mit der täglichen Praxis im Anschluss schnell auf ein höheres Sprachniveau.
Sich mit Einheimischen anfreunden und umgeben: Einer der häufigsten Fehler, welche ich bei einwanderungswilligen Ausländern gesehen habe, war dieser. Dass sie sich eben nur mit anderen Ausländern umgeben haben. Um Fuß zu fassen und vor allem zu lernen, wie die Dinge hier so laufen, ist es aber unabdingbar, sich zu integrieren.
Und das bedeutet nun einmal, sich mit Argentiniern zu umgeben und anzufreunden. Argentinien ist nicht nur das schöne Land, sondern genauso seine Bevölkerung. Wer nur wegen dem Land bleiben möchte und nicht wegen seiner Leute, der wird es schwer haben.
Nicht für andere arbeiten, sondern für einen selbst: Dazu braucht man aber zumindest zu Beginn einen argentinischen Partner. Oder man arbeitet remote für den deutschsprachigen Raum, so wie ich das mache. Mit der derzeitigen wirtschaftlichen Situation sicherlich die beste Lösung. In diesem Fall muss man sich allerdings ein gewisses Konstrukt einrichten, um sein Geld am Ende zu bekommen. Ist zu Beginn etwas Aufwand, sobald es einmal steht, läuft es in der Regel jedoch recht reibungslos.
Und welche 3 Dinge vermisst du am meisten bzw. gehen dir auf den Wecker?
Also am allermeisten vermisse ich aus meiner alten Heimat Vorarlberger Kässpätzle. Ich habe diese zwar hier auch schon zubereitet, ist aber mangels des richtigen Käses nicht wirklich dasselbe.
Nur zweimal wurde mir Käse aus Vorarlberg mitgebracht, mit welchem ich dann die originalen (zumindest für mich) Kässpätzle zubereiten konnte. Das waren richtige Festtage.
Und natürlich vermisse ich meine alten Freunde. Denn auch, wenn man sich natürlich neue macht im Lauf der Zeit, ist es nicht dasselbe. Mit 34 noch einmal einen neuen Freundeskreis aufbauen zu müssen, ist schon nicht leicht.
Und es fehlen dann einfach die Erlebnisse aus vielen gemeinsamen Jahren, welche man gemeinsam erlebt hat und die einen zusammengeschweißt haben. Also wird die Freundschaft nie so tief werden. Die besten Freunde macht man meiner Meinung nach immer noch in gemeinsam Jugendtagen und als junger Erwachsener.
Was mir in Argentinien selbst „auf den Wecker“ geht ist, dass die Leute extrem unzuverlässig sind. Man kann sich prinzipiell auf nichts verlassen. Wie bereits gesagt – wenn man etwas möchte, dann muss man sich selbst darum kümmern.
Dadurch gestaltet sich das Zusammenleben bzw. gemeinsame geschäftliche Unternehmungen teilweise mehr als anstrengend. Im Wesentlichen deshalb, weil man nie weiß, was als nächstes passiert. Ob der Andere auch das macht, was er Dir hoch und heilig versprochen hat zu machen. Oder ob ihm plötzlich etwas ganz anderes doch die viel bessere Variante erscheint.
Was halten die Leute grundsätzlich von den Deutschen?
Grundsätzlich sind die Argentinier gegenüber den meisten Europäern sehr aufgeschlossen. Viele besitzen sogar eine Doppelstaatsbürgerschaft aufgrund europäischer Vorfahren. Sie reisen nicht ungern nach Europa. Und vor allem die weißen „porteños“ (wie die Bewohner von Buenos Aires landläufig genannt werden) sehen sich eher als Europäer. Das heißt als Europäer, welche in Südamerika leben, und nicht als echte Südamerikaner.
Buenos Aires wird demzufolge auch gerne als „das Paris Südamerikas“ bezeichnet und ist sicherlich nahe an einer europäischen Stadt – zumindest die Innenstadt (das „microcentro“). Obwohl ich hier eher nicht Paris, sondern eher eine Stadt etwas weiter südlich nennen würde. Madrid, oder eine größere Stadt in Süditalien wie Neapel oder Palermo. So etwas in der Art.
Von dem her hat man es als Europäer nicht schwer, neue Kontakte zu knüpfen. Zu bedenken ist nur, dass das Interesse einerseits oft nur oberflächlich ist. Und so dann genauso der Kontakt/die „Freundschaft“.
Andererseits kann es genauso nur berechnend sein. Der ist Europäer, der muss Geld wie Heu haben. Und so schlägt dann die „viveza criolla“ durch. Heißt, es wird versucht, es sich auf Kosten des Anderen (in dem Fall des Europäers) etwas gutgehen zu lassen. Vor allem, falls man nur kurzfristig im Land ist (oder gar nur als Tourist), sollte man die Beweggründe seines argentinischen Gegenübers immer gut bedenken. Und eventuell eine Einladung zu was auch immer – und mag sie noch so freundlich und beharrlich sein – lieber einmal ausschlagen.
Wo und wie hast du Spanisch gelernt?
In Uruguay. Nach dem ersten Monat in Buenos Aires wurde mir klar, dass mit meinen rudimentären Spanischkenntnissen hier kein großer Stich zu machen war. Also zog ich für 3 Monate nach Colonia in Uruguay und quartierte mich dort im Hostel einer uruguayischen Familie ein.
In der Ruhe des Ortes und der Vorsaison, sowie durch den täglichen Kontakt mit der Sprache, lernte ich ziemlich rasch.
Nach dieser Zeit konnte ich dadurch zumindest so viel sprechen und verstehen, um in die argentinische Hauptstadt zurückkehren und in dieser leben (und überleben) zu können.
Wie stark unterscheiden sich das Spanisch, das die Spanier sprechen und das Spanisch der Lateinamerikaner?
Deutlich. Das tun aber auch die lateinamerikanischen Länder oder schon die argentinischen Provinzen untereinander. Das Spektrum reicht hier von Dingen des alltäglichen Gebrauchs bis hin zu einer Vielzahl von umgangssprachlichen Ausdrücken. Diese haben oft in jeder größeren Stadt einen anderen Namen oder eine andere Bedeutung.
Dieser Umstand ergibt sich im Wesentlichen durch die verschiedenen, aufeinanderfolgenden Einwanderungswellen. Diese führten zur Vermischung von unterschiedlichen Sprachen an unterschiedlichen Orten. Im Wesentlichen verstehen sich alle Spanischsprachigen aber natürlich untereinander. Und sobald man als Nicht-Muttersprachler einmal ein etwas höheres Sprachniveau erreicht hat, versteht man im Normallfall ebenso alle möglichen spanischen Muttersprachler.
Hier gibt es ein interessantes Video (von uns) zum Thema: Spanisch – die Unterschiede
Südamerika strotzt, könnte man beim Ländervergleich meinen, vor Geheimtipps; Chile, Uruguay, Paraguay werden immer mal wieder von Insidern empfohlen. Wie siehst es aus, wenn du die fünf interessantesten Länder südlich des Panamakanals vergleichst?
Da ich mich bisher von einigen wenigen Monaten abgesehen lediglich in Argentinien aufgehalten habe, möchte ich zu dieser Frage keine allzu spezifische Antwort geben. Prinzipiell glaube ich aber, dass das hier vor allem davon abhängt, was jemand sucht. Ein Land, das für den Einen der Himmel auf Erden sein kann, ist für den Anderen die Hölle.
Demzufolge sollte jemand, der mit dem Gedanken spielt nach Südamerika auszuwandern, sich so ausführlich über die Möglichkeiten und Gegebenheiten der einzelnen Länder informieren.
Zusätzlich sollte einem immer bewusst sein, dass der Alltag immer ein anderer ist als die Eindrücke einer Urlaubsreise. Es gilt also, sich gut zu überlegen, was man sich erwartet von der Auswanderung. Was einen in Deutschland oder Österreich so sehr stört, dass man weg will. Und was die dazu angestrebte Alternative wäre. Und danach sollte man das Auswanderungsziel aussuchen. Und nicht nach einem Wunschdenken oder aus ein paar schönen Urlaubserinnerungen heraus.
Des Weiteren muss man sich stets vor Augen halten, dass man als Einwanderer immer von Null bzw. ganz unten anfängt. Europäer hin oder her. Deutscher Uni-Abschluss hin oder her. Das Leben fängt hier sprichwörtlich noch einmal von vorne an. Sowohl im positiven als im negativen Sinne.
Wie umfangreich war dein Umzug?
Wie bereits erwähnt, bin ich mit nicht mehr als einem Hinflugticket, 100kg Gepäck (hauptsächlich Kleidung und ein paar persönliche Dinge) und ein paar tausend Euro in der Hosentasche „ausgewandert“.
Da man bei der Einreise nach Argentinien (zumindest am Flughafen) normalerweise einen Beweis der Wiederausreise vorlegen muss, sprich ein Weiterreise- oder Rückflugticket, musste ich mir natürlich etwas einfallen lassen.
Also zog ich mir mein Dress des SC Napoli aus dem Jahr 1986, mit Nummer und Namen des Diegote, über. Auf diese Art und Weise gekleidet wurde ich herzlich im Land aufgenommen. Anstatt mit Hr. Peter, wurde ich von „migraciones“ mit Jeremy angesprochen.
Auf die Frage, wie lange ich geplant hätte zu bleiben, antwortete ich einfach, dass ich das noch nicht wüsste. Und fertig. Ich wurde willkommen geheißen, durchgewunken und freundschaftlich verabschiedet. Sozusagen mein Aufnahmeritual im Land. Und eine Geschichte, welche bisher noch jeden Argentinier beeindruckt hat.
Wie haben Familie und Freunde in Österreich reagiert, als sie erfuhren, dass du auswanderst?
Weil es so kurzfristig war, natürlich auf der einen Seite überrascht. Auf der anderen Seite wussten ja alle von meiner Unzufriedenheit und der prinzipiellen Bereitschaft zu einer Auswanderung. Von dem her war es dann doch nicht so überraschend, sondern eher die Bestätigung, dass ich endlich mache.
Wie hast du Freunde gefunden?
Echte Freunde zu finden hat verständlicherweise gedauert. Aber einen nach dem anderen habe ich wieder welche gefunden. Ein Prozess, der bis heute andauert. Aber zumindest habe ich jetzt schon wieder welche.
Denn zu Beginn war die Einsamkeit schon ein Problem. Alleine anzukommen in einem wildfremden Land, ohne hier auch nur irgendjemanden zu kennen, ließ mich teilweise schon melancholisch werden.
Und gefunden habe ich die meisten klassisch. Beim Fortgehen. Durch gemeinsame Interessen und Aktivitäten. Durch gemeinsame Bekannte und Freunde. Durch das gemeinsame Wohnen.
Und wie eng sind deine Kontakte zu Familie und Freunden in der Heimat?
Inzwischen nur mehr sehr lose. Hin und wieder eine Nachricht oder ein kurzer Telefonanruf. Umso mehr ich mich hier integriere, umso mehr geht die Bindung an „Zuhause“ verloren.
Ich über mich
Ein guter Arbeitstag beginnt mit einer großen Tasse Kaffee.
Meine Freizeit verbringe ich am liebsten mit meinen Tieren und meinem Garten.
Die Zeit vergesse ich, wenn ich in guter Gesellschaft bin.
Es bringt mich auf die Palme, wenn ich jemanden nicht vertrauen kann.
Meine Lieblingsmusik: Komplett tages- und stimmungsabhängig. Von Hardcore-Punk über elektronische Musik bis hin zu klassischen Stücken kann alles sein.
Mit 18 Jahren wollte ich einfach nur in Ruhe gelassen werden.
Im Rückblick würde ich nicht noch einmal so lange warten, um von Österreich weg zu gehen.
In 10 Jahren sehe ich mich in einem abgelegenen Ort in den Sierras von Córdoba.
Wer es in meinem Beruf zu etwas bringen will, der muss viele verschiedene Fähigkeiten vereinen.
Geld beruhigt mich. Das heißt es in ausreichendem Maße zu besitzen, um mir keine Sorgen machen zu müssen.
Rat suche ich bei meiner Freundin.
Familie und Beruf sind teilweise leider unvereinbar.
Wer auch nach Argentinien auswandern will, dem rate ich, es sich vorher gut zu überlegen. Obwohl, auch falls es nicht funktionieren sollte, wird es sicher eine prägende Erfahrung.
Jeremy-James, vielen Dank für das Gespräch! (Fragen für wohin auswandern stellte Knut Gierdahl)
Über Jeremy-James Peter: Geboren 1980 in Vorarlberg. Später Master in Pflanzenmolekularbiologie und Diplomingenieur in Pflanzenzüchtung in Wien. Während des Studiums reiste er viel und hatte erste eigene, kleine Unternehmungen. Nach dem Studium zuerst an der BOKU und dann kurz am AIT in der Forschung tätig. Mit 34 nach Südamerika (Argentinien) „ausgewandert“. Momentan widmet er sich diversen Online-Projekten wie einer Webseite zum Sprachen lernen und diversen Projekten im Bereich Suchmaschinenoptimierung (SEO), während er am Aufbau eigener Projekte vor Ort in Argentinien arbeitet.
Bilderrechte bei J.J. Peter