Bernd Kittelmann lebt seit über drei Jahren in Russland. Er schrieb uns, „… Wenn man Russen kennt, heißt das nicht, man kennt Russland – nur wenige Russen haben die richtigen Kontakte.“ Das klang interessant, ich wollte mehr erfahren. So kamen wir ins Gespräch…
Warum gerade Russland?
Mein Vater hat in Russland studiert und hat bis heute guten Kontakt zu Russland. Meine Heimatstadt ist Lutherstadt Wittenberg, sie war zu Zeiten des Sozialismus eine sogenannte Garnisionsstadt der sowjetischen Armee. Als Schulkinder hatten bzw. mussten wir gute Kontakte mit den Soldaten pflegen – jeder Schüler hatte außerdem noch einen sowjetischen Brieffreund, um die russische Sprache besser zu lernen.
Ach ja, die sowjetischen Brieffreunde… Hast du heute noch Kontakt zu ihm?
Zu meinen ehemaligen Briefreund habe ich schon lange keinen Kontakt mehr, nach der Schulzeit hat man ja andere Interessen.
Kann ein Deutscher in Russland von legaler Erwerbstätigkeit leben, mal den Fall ausgenommen, dass ihn seine Firma befristet ins Land schickt? Oder hat man nur als Businessmen eine Chance?
In Russland kann man von normaler Arbeit leben, wenn man als Voraussetzung eine Wohnung oder Haus gekauft hat und ein Auto besitzt. Der Begriff Businessman ist heute nicht mehr so mit der Mafia verbunden wie damals (vor ca. 15 Jahren). Man kann heute auch ohne schlechtes Gewissen einen BMW fahren. Die Russen selber akzeptieren im Großen und Ganzen die Mafia, sie unterstützt auch arme Leute. Wenn du einen Russen nach der Mafia fragst, wird er dir sagen, die größte Mafia ist die Miliz.
Was hattest du in Deutschland beruflich gemacht?
In Deutschland habe ich Instandhalter gelernt. Aber ich sehe seit der Einführung des Euro keine Zukunft mehr in Europa. Der Euro nutzt nicht den einfachen Menschen, er erleichtert nur Zollverkehr und erhöht die Gewinne der Konzerne, da sie im Export und Import innerhalb der EU nicht mehr von den Schwankungen der einzelnen Währungen in Europa abhängig sind.
Was für Kontakte hattest du nach Russland, als du ausgewandert bist?
Ich habe viele Freunde/Bekannte in Moskau, Perm, Kazan, Krasnodar, Balakovo und Saratov. Alle boten mir ihre Hilfe beim Auswandern an. Aber ich habe eine gute Freundin in Saratov, sie arbeitet in einem Inmobilienkonzern (ehemalige Soldaten einer Spezialeinheit im Afghanistan Krieg) und sie machte mir die Kontakte zu allen notwendigen Behörden.
Unsere Leser fragen immer wieder, welche Dokumente und Visa man zum längerfristigen Aufenthalt in Russland braucht. Kannst du das erläutern?
Früher gab es noch ein Jahresvisum – ist leider abgeschafft. Folgende Möglichkeiten gibt es:
- eine Einladung schicken lassen (Visum für 3 Monate), dann in Russland sich selbständig machen, einen Partner suchen und über diesen Partner ein Geschäftsvisum beantragen (Gültigkeit 1 Jahr). Dieses Visum kann jedes Jahr um 1 Jahr problemlos verlängert werden.
- Wenn man eine Firma in Deutschland hat (Selbstständigkeit reicht), einen Partner in Russland suchen und über ihn ein Geschäftsvisum machen.
Während der Gültigkeit des Visums kann man heiraten.
Heiratspapiere
- gültiger Pass
- Geburtsurkunde und anerkannte Übersetzung
- eheliche Unbedenklichkeitsbescheinigung und anerkannte Übersetzung (dieses Papier ist nur 6 Monate gültig)
- die Übersetzungen von Geburtsurkunde besser in 2-3 facher Ausführung
- Geburtsurkunde und eheliche Unbedenklichkeitsbescheinigung (Übersetzung)muss eine sogenannte Apostille (Stempel)haben..
Behörden und Ämter in Russland haben hierzulande einen schlechten Ruf. Der Korruptionsindex von ‚transparency international‘ sieht Russland auf Platz 147 (von 180). Wie sind deine Erfahrungen und worauf sollten sich Expats und Auswanderer einstellen?
In Russland gibt es die sogenannte kleine Korruption, d.h., wenn du etwas von Ämtern haben möchtest (Baugenehmigung, eine beliebige Anmeldung u.s.w.), bezahlst du ca.1000-2000 Rubel, dann ist alles schon erledigt und du musst nicht jahrelang warten oder zehnmal zu den Ämtern rennen – ich finde es gut so.
Kann man in Russland (über)leben, wenn man kein Russisch, sondern Deutsch und Englisch spricht?
Wenn man in Russalnd lebt, sollte man schon Russisch lesen, schreiben und sprechen können. Sonst wird man dort nur oberflächliche oder geldorientierte Kontake haben. Sobald die Behörden aller Art merken, du verstehst bzw.du sprichst kein Russisch, wird man abgezockt. Ein Beispiel: Die Straßenmiliz (GAI) hält dich an und die finden immer einen Grund, um Geld ohne Quittung zu bekommen. Du verstehst sie aber nicht. Nehmen sie dich mit und klären alles auf dem Revier. Dann ist alles geregelt und du möchtest dein Auto wiederhaben, dann wollen sie z.B. 1000 Rubel pro Stunde, die das Auto gestanden hat (egal wo). Und ohne etwas vorher zu bezahlen, dauert es lange auf dem Revier.
Das Russland unter Putin/ Medwedjew stellt einige Selbstverständlichkeiten der EU in Frage – und wird dafür seit Monaten eher kritisch beurteilt. Wie sehen Russen das Verhältnis zum Westen?
Zar Peter der Große hat einmal gesagt, die russische Mentalität verlangt Zucker und Peitsche, so regiert Putin und er führt sein Land auf den richtigen Weg. Die Russen und auch ich sehen Gorbatschov als Verräter, der nur anderen Ländern helfen wollte – er ermöglichte z.B. Abramowitsch und den anderen Oligarchen, so reich zu werden.
Eines seiner ersten Gesetze war das Verbot zum Verkauf von Wodka in 6 Tagen der Woche. Ich weiß nicht, wenn Merkel dasselbe in Deutschland mit Bier machen würde… Ich bewundere Putin, Russland wird von der Nato eingekreist, aber Russland ist stark genug, um dagegenzuhalten. Der Nationalstolz der Russen ist groß.
Bernd, vielen Dank für das Gespräch!
(Die Fragen stellte Knut Gierdahl. 12.01.2009)
Bildnachweise: Foto oben: Opernhaus von Saratow, Wasilij Zimin (Creative Commons Lizenz).
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zuletzt bearbeitet: Juli 2021